Du bist einfach da!

13 Mai 2019
·
von Tatjana Wanner
(c) Christine Ruis

Theater als Medium Kultureller Bildung

Interview mit Kulturarbeiterin Christine Ruis

Erfahren, erprobt und engagiert – das bringt Leben und Arbeiten von Christine Ruis aus Bielefeld auf den Punkt. Besonders interessant waren für mich: ihr Standpunkt zur Kulturellen Bildung und ihre Kooperationsvorstellungen. Mehr dazu im folgenden Interview.

 

Walkacts, Lesungen, Regiearbeit, Feldenkrais und mehr stehen als Angebote auf deiner Website. Wie nennst du dich denn eigentlich?

Ich bezeichne mich schon lange als Kulturarbeiterin. Mein kleines Unternehmen heißt sch.a.l.k.i.n. – ein Kurzwort aus den Anfangsbuchstaben der Wörter schauspiel. arbeit. leben. kunst. innovativ. nützlich. Wichtig ist mir, dass ein weiblicher Schalk ja wohl "Schalkin" heißen müsste.

 

Seit wann bist du in der Kulturellen Bildung an Schulen aktiv?

Seit etwa 2000 arbeite ich an Schulen. Begonnen hat das Ganze mit der damals noch aktiven Yehudi Menuhin Stiftung in Kooperation mit der Bürgerstiftung Bielefeld im Rahmen des Programms „MUS-E®“. Später bin ich dann in das NRW-Landesprogramm „Kultur und Schule“ gewechselt und seitdem kontinuierlich dabei. Im Theaterbereich bin ich 1983 gelandet, als Quereinsteigerin. Im Leben davor war ich Sozialpädagogin.

 

Wieso Schule und warum gerade Theater?

Mit Kindern und Jugendlichen theaterpädagogisch zu arbeiten, ist absolut sinnstiftend. Für mich ist Theater ein super Medium, weil alles drin ist: Sprache, Musik und Bühnenbild – Bereiche, in denen ich mich überall zu Hause fühle. Ich mache diese Arbeit total gerne.

 
Was verstehst du persönlich unter Kultureller Bildung?

Für mich besteht die Kulturelle Bildung aus mindestens zwei Säulen: Die eine Säule umfasst die gängigen Kulturtechniken des Westens: Lesen, Schreiben und Rechnen. Diese zu beherrschen und anwenden zu können, sich darin zurechtzufinden, ist Aufgabe der Kulturellen Bildung. Die zweite Säule – und hier scheitern die Schulen meines Erachtens – sollte dafür sorgen, dass jede!r weiß, dass es neben der eigenen Kultur auch andere gleichwertige Kulturen gibt, auch wenn diese eventuell einen ganz anderen Wertekanon haben. Kulturelle Bildung hat meines Erachtens die Aufgabe, Kinder und Jugendliche zu befähigen, persönliche Standpunkte entwickeln zu können, zu behalten und gegebenenfalls auch zu verändern, bzw. sogar aufzugeben. Kulturelle Bildung soll bilden, Kultur bilden, das heißt sie ist prozesshaft, nicht statisch, sie darf und soll immer wieder hinterfragt werden. So bleibt Gesellschaft lebendig und bildet Kultur(güter).

 

Was ist das Besondere, wenn Christine Ruis an die Schule kommt?

Laden mich die Schulen ein, erleben die Kinder und Jugendlichen jemanden, der einfach anders ist. Grundsätzlich arbeite ich mit der halben Klassenstärke. Dann bin ich oft auch viel strenger als jede/r Lehrer!in. Nicht weil ich daran besonders viel Freude habe, sondern weil es die Situation erfordert, zum Beispiel wenn vorne auf der Bühne gespielt wird und es backstage still sein muss.

Dieser Strenge steht eine große Freiheit gegenüber. Mein Vorteil als Theaterfrau, die von außen kommt, ist: Ich gebe keine Noten und brauche mich nach keinem Curriculum zu richten. Ich finde es zum Beispiel faszinierend, wie unterschiedlich Kinder Texte lesen: Die einen lesen über Kopf, andere auf dem Bauch liegend, andere wiederum sitzend oder stehend. All das dürfen sie bei mir auch. Ich spreche auch sehr viel mit den Kindern und Jugendlichen über den Inhalt des Gelesenen. Beim Theaterspielen, wenn sie eine Geschichte frei nachspielen, merke ich ganz schnell, was sie verstanden haben und was nicht.

"Kultur und Schule"-Projekt mit Sprachförderschülern!innen (c) Christine Ruis
 
Entwickelst du die Projekte oder entstehen sie in der Zusammenarbeit mit Schulen?

Teilweise entwickele ich die Projekte mit den Schulen zusammen. Arbeite ich mit Grundschüler!innen, ist immer ein Buch, eine Geschichte die Basis. Da habe ich dann auch kein Problem, die im Curriculum vorgesehene Klassenlektüre zu wählen. Natürlich gibt es auch Schulen, die zu meinen Lieblingsschulen zählen. Die sagen einfach „Christine mach!“ und ich darf loslegen.

Gerade in den weiterführenden Schulen ist es wichtig, dass ich mich nicht zur Sklavin meines eigenen Projektkonzepts mache. Ich möchte an den Themen der Schüler!innen dran sein, muss die Schüler!innen erst einmal sehen und erleben. Manchmal kommen wir dann gemeinsam noch auf etwas ganz Anderes. Zum Beispiel führte uns an einer Hauptschule das Thema Mode und Livestyle plötzlich zur Sexualität. Da versuche ich dann einen Dreh zu finden und nehme mir die Freiheit, vom ursprünglichen Konzept abzuschweifen.

 

Worum geht es dir?

Mir geht es darum, Schüler!innen klar zu machen, dass sie ein Hirn haben, um selbst zu denken! Dass sie selbst und nicht nur andere kreative Fähigkeiten haben. Dafür braucht es Zeit und Gelassenheit. Das Tolle ist, ich weiß, wie gut das mit Theater geht. Entscheidend ist, dass am Schluss des Projektes oder Schuljahres eine Werkstattaufführung, eine Präsentation rauskommt.

 

„Kooperieren heißt, sich aus einer Haltung der Stärke auf neues, ungesichertes Terrain einzulassen.“ (Michael Wimmer 2019) Wie stehst du zu der Aussage des österreichischen Politik- und Kulturwissenschaftlers?

Ich habe mich zunächst an dem Begriff „Stärke“ gerieben. Aber ich glaube, ich habe das mit „Macht“ verwechselt. Klar: Du musst dich sicher fühlen, damit du gut kooperieren kannst.

 
Was macht für dich eine gute Kooperation aus?

Wichtig ist eine gesicherte Finanzierung des Projektes. In einer guten Kooperation vertraut man meiner Kompetenz, meinem Handwerk. Kooperieren funktioniert immer dann gut, wenn eine klare Struktur und Aufgabenverteilung vorliegt und genug Zeit ist, um diese im Vorfeld festzulegen. Sich auf Augenhöhe zu begegnen und wertschätzend miteinander zu sein – in beide Richtungen – gehört ebenfalls zu einer gelungenen Kooperation. Hilfreich ist auch, wenn Künstler!in und Lehrer!in ein gemeinsames Menschen- und Gesellschaftsbild haben.

 

Was motiviert dich? Was treibt dich an?

Mir macht die Arbeit einfach Freude. Sie ernährt mich auf vielen Ebenen. Ich bin demütig über meine Nische, die ich gefunden habe, und dass ich andere an meiner Arbeit teilhaben lassen kann. Mich motiviert, dass ich mit meinen kleinen Möglichkeiten einen Gegenpol schaffe zur Welt des „Höher, schneller, weiter“ und jungen Menschen vermittle „Du bist einfach da!“ als Wert an sich. Mein Antrieb? Lebendiges Lehren und Lernen, Spielen, lachen und den Blick für das Große im Kleinen schärfen.

Danke dir für das Gespräch!
Mai 2019

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